Geschwätz ohne Rechthabeanspruch

⏺   Schutz vor etwas
ist keine Ausgrenzung von etwas.
© jmpg 05-02-17

⏺   Bin ich automatisch ein Populist, wenn ich die bestimmenden Eliten kritisiere? Sicher nicht! Ich bin ein Populist, wenn ich vorgebe, diese Kritik im Namen des Volkes vorzunehmen, im Namen des gesamten Volkes.
© jmpg 04-02-17

⏺   Einem Teil des „Volkes“, lateinisch „Populus“ genannt, nach dem Mund zu reden, kann zwar opportunistisch und auch verlogen sein, oder in betrügerischer Absicht erfolgen, es ist aber nicht populistisch. Sonst wäre auch eine mit demokratischer Mehrheit gewählte Regierung automatisch populistisch.
Nicht jede Kritik am Bestehenden, die von einem Teil der Bevölkerung getragen wird, ist deshalb „populistisch“, im europäischen Negativ-Sinn.
Populistisch ist erst der moralische Messias-Anspruch mit Ausgrenzung der Andersdenkenden ohne Dialog.
Wenn dieser moralische Alleinvertretungsanspruch zu einer demokratischen Mehrheit führt, die ihre exklusiven Vorstellungen auch exklusiv ausführt, dann hat unsere pluralistische Gesellschaft ein Problem: sie hat faktisch aufgehört zu existieren. Aber was heißt schon „faktisch“ in Zeiten, in denen es angeblich „alternative Fakten“ gibt.
© jmpg 05-02-17

Darüber hinaus gibt es noch einen Unterschied zwischen“populus“ und „plebs“. Das erstere war die gesamte Bürgerschaft Roms, das letztere bezeichnete die Pleb-ejer im Gegensatz zu den Patriziern.

In diesem Unterscheidungssinn wären die „Popul-isten“ eigentlich „Plebej-isten“.
Bedenken sollten wir alle, daß es Demokratie ohne Pluralismus nicht geben kann. Niemand kann „das Volk“ vertreten, der nicht auch die Eliten einschließt. Aber auch die „Eliten“ vertreten nicht das „Populus“, wenn sie die „Plebejer“ ausschließen.
Unser „Plebizit“ findet übrigens dort seinen Ursprung (wobei ich mich frage, wo da die Patrizier abbleiben…😎)

Cf auch: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“
Bert Brecht (nach dem Gedicht: Die Lösung)

⏺   Wir können auf unseren Territorien nicht für alle die sorgen, die auf ihren Territorien nicht zurecht kommen. Unsere Hilfsbereitschaft würde in Kürze unsere Hilfsmöglichkeiten aufbrauchen und uns selbst Unserer Lebensgrundlagen berauben. Am Ende würden wir alle mit leeren Händen da stehen, ohne denen noch helfen zu können, die unserer Hilfe wirklich bedürfen.
Es übersteigt auch unsere Möglichkeiten, gegen jeden großen oder kleinen Diktator oder unfähigen Herrscher vorzugehen, der seine eigenen Landsleute knechtet und ausbeutet, wenn die Ausgebeuteten sich nicht zusammenschließen und sich wehren. Die Gefahr, daß sie dann anderen, noch groteskeren Diktatoren zur Macht verhelfen, ist allerdings sehr groß, auch wenn wir ihnen helfen. Beispiele bietet unsere jüngste Geschichte zuhauf.
© jmpg 04-02-17
Hat irgend einer von euch eine praktikable Idee?

⏺   Ich habe nichts gegen Andersdenkende, wenn sie mir nachvollziehbare Argumente entgegen setzen. Oder mich falsifizieren können, und sei es nur in Teilen. Aber eben nur dann.
© jmpg 22-01-17

⏺   Integration ist sich Anpassen an das Normativ.
© jmpg 22-01-17
15h23 auf meinem Arbeitsplatz 🛋

⏺   Die öffentliche Ordnung muss aktiv aufrecht erhalten werden, sie bleibt nicht von alleine bestehen. Es ist ein tagtäglicher Kampf an den Rändern der Gesellschaft und oft auch in deren Mitte. Wenn die relative Homogenität der Bevölkerung im Bezug auf gemeinsame Werte und gemeinsame Lebensweise immer weiter schwindet, zum Beispiel durch Zuzug von kultur-, mentalitäts- und religionsfremden Menschen, die nur sehr bedingt eine Integration in die bestehende Gesellschaft anstreben, dann wird die öffentliche und innere und bisher normative Ordnung der Gesellschaft immer brüchiger. Das Selbstverständnis dieser Ordnung, die bei normaler Akzeptanz mit vergleichsweise geringem Nachdruck gesichert werden kann, schwindet. Die bestehenden Sicherheitsstrukturen, die aus ökonomischen und politisch meist zweifelhaften Gründen immer weiter abgebaut werden, erweisen sich schnell als kläglich unzureichend.
© jmpg 22-07-16

Die Pax Romana endete mit dem schlußendlich unkontrollierbaren Zustrom fremder (allerdings kriegerischen) Ethnien von den bröckelnden Grenzen her, während im Inneren der Gesellschaft die Zwistigkeiten und Ränkespiele überhand nahmen. Nicht zuletzt auch wegen der zunehmenden Multikulturalität in den verantwortlichen Staats-Strukturen und über diese hinaus, wurde die Verteidigung und Aufrechterhaltung jedweder Ordnung unmöglich. Der Weg ins Mittelalter begann.

Populismus und Alleinvertretungsanspruch

Die Bedeutung des Wortes Populismus ist keineswegs erodiert. Es hat sich boß kaum jemand die Mühe gemacht, konsequent darüber nachzudenken. Und so wird nachgeplappert, umgedeutet und ausgedehnt was das Zeug hält. Dabei sind die Kriteren, die Populisten erfüllen müssen um als solche zu gelten, ziemlich eindeutig. Der Politologe Jan-Werner Müller hat das in seinem Essay ‚Was ist Populismus extensiv zu beschreiben versucht.
Es ist nicht der politische Stil allein, der den Populisten ausmacht, die radikale Vereinfachung komplizierter Sachverhalte mittels griffiger Stammtisch-Parolen und das Anbieten einfacher, meist nicht praktikabler Lösungen. Das beherrschen die Politiker und die Gewerkschafter allesamt. Siehe Benoît Hamon mit der 32 Stundenwoche und dem bedingungslosen Grundeinkommen, die weder realisierbar noch finanzierbar sind. Auch Rassismus hat nur sekundär etwas mit Populismus zu tun. Gehört aber oft dazu, um die eigenen „Reihen fest geschlossen“ zu halten, wie früher mal gesungen wurde.
Der französische Politologe J.Y. Camus knüpft bei seinem LW-Interview eher an der Postmodernen an und dessen „Ende der großen Erzählungen“ (fin des grands récits) wie J.-F. Lyotard das nannte und dem damit verbundenen exzessiven Pluralismus und einem genau so übertriebenen Individualismus, die beide große Ängste auslösen. Die Populisten erschaffen neue große Erzählungen, zum „Wiedereinfangen“ des Volkes und dessen Beruhigung. Aber auch das macht den Populismus allein nicht aus.
Es fehlt das wichtigste Merkmal überhaupt: Der moralische Alleinvertretungsanspruch.
Der Populist behauptet, als einziger erkannt zu haben, was „das Volk“ will, und diesen Willen möchte er gegen die bestehenden, regierenden Eliten/Institutionen/Gesetzgebungen durchsetzen. Die Partikularität dabei ist, daß Menschen mit anderen Meinungen schlicht nicht zum „wahren Volk“ gehören. Alles dreht sich somit um Exklusivität und Exklusion.
Am bekanntesten sind wohl die Aufmärsche in Dresden mit der Parole: „Wir sind das Volk.“ Dieser Satz ist eindeutig populistisch, wenn er in einer pluralistischen Demokratie benutzt wird. Denn er bedeutet: „Nur wir sind das Volk“ und entspricht so dem moralischen Alleinvertrtungsanspruch und der Exklusion der Andersdenkenden. In einer Diktatur, wie sie die DDR darstellte, und wo die Parole ihren historischen Ursprung hatte, ist sie zwar immer noch populistisch, aber überaus legitim. In unseren Ländern müßte es, um nicht populistisch zu klingen, heißen: „Auch wir sind das Volk, und möchten gehört werden.“
Beispiele gibt es zuhauf. Erdoğan rief seinen Gegnern zu: „Wir sind das Volk. Wer seid ihr?“ Victor Orbàn meinte, seine Partei könne nicht abgewählt werden, weil „das Volk“ nicht in der Opposition sein kann. Trump gibt „dem Volk“ die Macht zurück, wie er sagt, allein durch die Tatsache, dass er, von einer Minorität, „erwählt“ wurde. Dem Andersdenkenden wird einfach die moralische Legitimität abgesprochen.
„Das Volk“ als solches gibt es nicht, es läßt sich als solches nie ganz fassen, es ist in ständiger Veränderung. Trotz aller Manifestationen, Aufmärschen, Umfragen, „shit-storms“ auf Facebook: der „wahre Wille“ des „wahren Volkes“ zeigt sich dadurch nicht. Nur durch freie Wahlen, -die übrigens keine Veranstaltungen zum Verteilen von Blankovollmachten sind, wie Herr Asselborn das einmal angedeutet hat-, kann man den vermuteten Volkswillen in Teilen erahnen. Aber das Wahlverhalten ist in Zeiten alternativer Fakten bereits weitgehend manipulierbar geworden. Das neue Einflüstern, das dem Volk suggeriert, was es denken und erstreben soll, läuft heute über die sozialen Medien. Die Populisten haben das vor allen anderen erkannt, ganz gleich aus welcher politischen Ecke sie stammen. Es geht ihnen um die Macht, nicht um den Willen der Mehrheit der Bürger. Parteien aber vertreten, wie es der Namen bereits andeutet, stets nur einen „Part“, einen Teil dieser Bürger.
Der Aufstieg der selbsternannten Erlöser mit ihren einschmeichelnden Einfachlösungen beginnt mit dem oft hilflosen Schweigen der Verantwortlichen der bestehenden Macht. Unseren gewählten Vertretern fehlt es meist sowohl am Global- wie auch am Detailverständnis so mancher Probleme und vor allem am Mut und der Fähigkeit, die Tatsachen so zu schildern, wie sie sind. Und die nötigen Konsequenzen zu ziehen.

Auch die Medienlandschaft in ihrer angeblichen Diversität kann populistisch reagieren. Ich erinnere mich nur zu gut an die Kommentare in sämtlichen luxemburgischen Medien im Anschluß an das Referendum von 2015. Damals hatten fast 80% der stimmberechtigten Bürger (ich vermeide mit Absicht den schwammigen Begriff „Volk“) gegen die Vorschläge der von ihnen gewählten „Volks“vertreter gestimmt. Es folgte eine landesweite degradierende Schimpfe auf das uneinsichtige „Volk“ und eine narzistische Selbsterhöhung der „Eliten“, einschließlich so mancher Redakteure. Ohne jetzt auf Einzelheiten einzugehen. Das war meist reiner journalistischer Populismus mit „Allein-Rechthabe-Anspruch“.
Diesmal, im E-mail-Gespräch der beiden LW-Redakteure, sind Sätze gefallen, die erklärungsbedürftig sind. Denn Mme Cahens Aussagen waren weder populistisch noch menschenverachtend und auch nicht aufwiegelnd oder ausgrenzend. Sie entsprachen den allseits bekannten Tatsachen und können höchstens unbequem genannt werden. Aber sie waren auch überfällig, weil wir Ross und Reiter benennen müssen, um den wirklichen Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Man darf Mme Cahen kritisieren, aus welchem Grund auch immer, und auch Herrn Schmit, man muß es aber nicht und es ist auch nicht „geboten“. Man soll es nicht „müssen“. Weil dieses „müssen“ nichts anderes wäre als ein exklusiver moralischer Rechthabe-Anspruch.
Populismus ist inzwischen zu einem meist unreflektierten Totschlagwort geworden, im gleichen Atemzug mit „Nazi“ und „rechtsextrem-rechtsnational“ oder eben: „menschenverachtend“, ein Qualifikativ das man in heutigen Zeiten nicht so ohne weiteres mißbrauchen sollte. Wenn abweichende Meinungen und fundierte Kritik aber immer gleich als „populistisch“ abgetan werden, beraubt sich die Demokratie ihrer elementaren Korrekturmöglichkeiten.
Das Problem mit Provokationen, über die hier spekuliert werden, liegt immer auch bei denen, die sich provoziert fühlen. Meistens hat der Gegenüber dann einen „wunden Punkt“ berührt. Es muß sich dabei keineswegs um Lügen handeln. Auch das Aussprechen anderer Meinungen und von bis jetzt aus politischen Gründen verschwiegenen Wahrheiten kann den Provozierten in Verlegenheit bringen, der dann gekränkt und wütend reagiert. Aber auch das gehört zum pluralistischen Anspruch der Demokratie: Niemand hat einen Alleingültigkeits-Anspruch. Auch nicht Herr Asselborn, dessen Reaktionen aus diesem Grund des öfteren verdächtig in die Populismusrichtung zeigen. Auch wenn sie noch dem augenblicklichen politischen Mainstreamdenken entsprechen.

Jean M.P. Gilbertz

Bibliographie
Jan-Werner Müller, ‚Was ist Populismus?‘
Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert Marcuse 1965 ‚Kritik der reinen Toleranz‘
Jean-François Lyotard, ‚La condition postmoderne‘ 1979