Populismus und Alleinvertretungsanspruch

Die Bedeutung des Wortes Populismus ist keineswegs erodiert. Es hat sich boß kaum jemand die Mühe gemacht, konsequent darüber nachzudenken. Und so wird nachgeplappert, umgedeutet und ausgedehnt was das Zeug hält. Dabei sind die Kriteren, die Populisten erfüllen müssen um als solche zu gelten, ziemlich eindeutig. Der Politologe Jan-Werner Müller hat das in seinem Essay ‚Was ist Populismus extensiv zu beschreiben versucht.
Es ist nicht der politische Stil allein, der den Populisten ausmacht, die radikale Vereinfachung komplizierter Sachverhalte mittels griffiger Stammtisch-Parolen und das Anbieten einfacher, meist nicht praktikabler Lösungen. Das beherrschen die Politiker und die Gewerkschafter allesamt. Siehe Benoît Hamon mit der 32 Stundenwoche und dem bedingungslosen Grundeinkommen, die weder realisierbar noch finanzierbar sind. Auch Rassismus hat nur sekundär etwas mit Populismus zu tun. Gehört aber oft dazu, um die eigenen „Reihen fest geschlossen“ zu halten, wie früher mal gesungen wurde.
Der französische Politologe J.Y. Camus knüpft bei seinem LW-Interview eher an der Postmodernen an und dessen „Ende der großen Erzählungen“ (fin des grands récits) wie J.-F. Lyotard das nannte und dem damit verbundenen exzessiven Pluralismus und einem genau so übertriebenen Individualismus, die beide große Ängste auslösen. Die Populisten erschaffen neue große Erzählungen, zum „Wiedereinfangen“ des Volkes und dessen Beruhigung. Aber auch das macht den Populismus allein nicht aus.
Es fehlt das wichtigste Merkmal überhaupt: Der moralische Alleinvertretungsanspruch.
Der Populist behauptet, als einziger erkannt zu haben, was „das Volk“ will, und diesen Willen möchte er gegen die bestehenden, regierenden Eliten/Institutionen/Gesetzgebungen durchsetzen. Die Partikularität dabei ist, daß Menschen mit anderen Meinungen schlicht nicht zum „wahren Volk“ gehören. Alles dreht sich somit um Exklusivität und Exklusion.
Am bekanntesten sind wohl die Aufmärsche in Dresden mit der Parole: „Wir sind das Volk.“ Dieser Satz ist eindeutig populistisch, wenn er in einer pluralistischen Demokratie benutzt wird. Denn er bedeutet: „Nur wir sind das Volk“ und entspricht so dem moralischen Alleinvertrtungsanspruch und der Exklusion der Andersdenkenden. In einer Diktatur, wie sie die DDR darstellte, und wo die Parole ihren historischen Ursprung hatte, ist sie zwar immer noch populistisch, aber überaus legitim. In unseren Ländern müßte es, um nicht populistisch zu klingen, heißen: „Auch wir sind das Volk, und möchten gehört werden.“
Beispiele gibt es zuhauf. Erdoğan rief seinen Gegnern zu: „Wir sind das Volk. Wer seid ihr?“ Victor Orbàn meinte, seine Partei könne nicht abgewählt werden, weil „das Volk“ nicht in der Opposition sein kann. Trump gibt „dem Volk“ die Macht zurück, wie er sagt, allein durch die Tatsache, dass er, von einer Minorität, „erwählt“ wurde. Dem Andersdenkenden wird einfach die moralische Legitimität abgesprochen.
„Das Volk“ als solches gibt es nicht, es läßt sich als solches nie ganz fassen, es ist in ständiger Veränderung. Trotz aller Manifestationen, Aufmärschen, Umfragen, „shit-storms“ auf Facebook: der „wahre Wille“ des „wahren Volkes“ zeigt sich dadurch nicht. Nur durch freie Wahlen, -die übrigens keine Veranstaltungen zum Verteilen von Blankovollmachten sind, wie Herr Asselborn das einmal angedeutet hat-, kann man den vermuteten Volkswillen in Teilen erahnen. Aber das Wahlverhalten ist in Zeiten alternativer Fakten bereits weitgehend manipulierbar geworden. Das neue Einflüstern, das dem Volk suggeriert, was es denken und erstreben soll, läuft heute über die sozialen Medien. Die Populisten haben das vor allen anderen erkannt, ganz gleich aus welcher politischen Ecke sie stammen. Es geht ihnen um die Macht, nicht um den Willen der Mehrheit der Bürger. Parteien aber vertreten, wie es der Namen bereits andeutet, stets nur einen „Part“, einen Teil dieser Bürger.
Der Aufstieg der selbsternannten Erlöser mit ihren einschmeichelnden Einfachlösungen beginnt mit dem oft hilflosen Schweigen der Verantwortlichen der bestehenden Macht. Unseren gewählten Vertretern fehlt es meist sowohl am Global- wie auch am Detailverständnis so mancher Probleme und vor allem am Mut und der Fähigkeit, die Tatsachen so zu schildern, wie sie sind. Und die nötigen Konsequenzen zu ziehen.

Auch die Medienlandschaft in ihrer angeblichen Diversität kann populistisch reagieren. Ich erinnere mich nur zu gut an die Kommentare in sämtlichen luxemburgischen Medien im Anschluß an das Referendum von 2015. Damals hatten fast 80% der stimmberechtigten Bürger (ich vermeide mit Absicht den schwammigen Begriff „Volk“) gegen die Vorschläge der von ihnen gewählten „Volks“vertreter gestimmt. Es folgte eine landesweite degradierende Schimpfe auf das uneinsichtige „Volk“ und eine narzistische Selbsterhöhung der „Eliten“, einschließlich so mancher Redakteure. Ohne jetzt auf Einzelheiten einzugehen. Das war meist reiner journalistischer Populismus mit „Allein-Rechthabe-Anspruch“.
Diesmal, im E-mail-Gespräch der beiden LW-Redakteure, sind Sätze gefallen, die erklärungsbedürftig sind. Denn Mme Cahens Aussagen waren weder populistisch noch menschenverachtend und auch nicht aufwiegelnd oder ausgrenzend. Sie entsprachen den allseits bekannten Tatsachen und können höchstens unbequem genannt werden. Aber sie waren auch überfällig, weil wir Ross und Reiter benennen müssen, um den wirklichen Populisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Man darf Mme Cahen kritisieren, aus welchem Grund auch immer, und auch Herrn Schmit, man muß es aber nicht und es ist auch nicht „geboten“. Man soll es nicht „müssen“. Weil dieses „müssen“ nichts anderes wäre als ein exklusiver moralischer Rechthabe-Anspruch.
Populismus ist inzwischen zu einem meist unreflektierten Totschlagwort geworden, im gleichen Atemzug mit „Nazi“ und „rechtsextrem-rechtsnational“ oder eben: „menschenverachtend“, ein Qualifikativ das man in heutigen Zeiten nicht so ohne weiteres mißbrauchen sollte. Wenn abweichende Meinungen und fundierte Kritik aber immer gleich als „populistisch“ abgetan werden, beraubt sich die Demokratie ihrer elementaren Korrekturmöglichkeiten.
Das Problem mit Provokationen, über die hier spekuliert werden, liegt immer auch bei denen, die sich provoziert fühlen. Meistens hat der Gegenüber dann einen „wunden Punkt“ berührt. Es muß sich dabei keineswegs um Lügen handeln. Auch das Aussprechen anderer Meinungen und von bis jetzt aus politischen Gründen verschwiegenen Wahrheiten kann den Provozierten in Verlegenheit bringen, der dann gekränkt und wütend reagiert. Aber auch das gehört zum pluralistischen Anspruch der Demokratie: Niemand hat einen Alleingültigkeits-Anspruch. Auch nicht Herr Asselborn, dessen Reaktionen aus diesem Grund des öfteren verdächtig in die Populismusrichtung zeigen. Auch wenn sie noch dem augenblicklichen politischen Mainstreamdenken entsprechen.

Jean M.P. Gilbertz

Bibliographie
Jan-Werner Müller, ‚Was ist Populismus?‘
Robert Paul Wolff, Barrington Moore, Herbert Marcuse 1965 ‚Kritik der reinen Toleranz‘
Jean-François Lyotard, ‚La condition postmoderne‘ 1979

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