Wenn und wäre…

Wenn jeder Blitz in meinem Geiste
Ein Geistesblitz wär
Ein jedes Wort aus meinem Munde
Ein Geschenk
Und jeder Punkt aus meiner Feder
Der Schönheit allerletzter Schluß
So schön daß sich die Musen schämten
Und um mich buhlen müssten
Weil Apoll selbst
Mein heimlicher Verehrer wär'

Dann würde ich
Mit Gott gegen die Welt
Wie man so sagt vor allem aber
Gegen die Kultur die wabernde,
Die Buchstaben-Akrobaten
Im Schweiße ihrer Not, die
Verleger der Auserwählten
Gegen die Schönredner
Der bedeutsamen Leere und gegen
Die Seeligsprecher
Der Erbberechtigten
Ihrer selbst

Dann
Ja dann...
Aber hallo vielleicht Gott sei Dank
Ist dem nicht so

Mein Land

Dies war zeitweise ja dacht‘ ich
Mein Land
Das meine Mutter mir geschenkt mein Vater
Weinte bloß
Wenn er darüber sprach
Was es für ihn mal war

Seit dieser Inflation
Der Worte in so vielen Bildern
Stecken sie fest mir jetzt
Im Halse drin
Anstatt wie einst
Sanft
Mein Zuhause
Zu benennen

Und plötzlich
Ohne mich noch auszukennen
In meiner Welt
Weiss ich nicht mehr
Wo ich ich hier bin wo ist die Melodie
Der ich doch folgen wollte
Ein Hintergrundgemurmel nur
Das ich nicht mehr versteh‘

© jmpg 2017

Weinen können

Ich werde endlich weinen können
Wie eine Trauerweide sagt man
Crying like a willow
Solltest du einmal vor mir steh’n
Am Ende meiner Tage
Vielleicht
Um mir Adieu zu sagen

Je pleurerai des rivières
Sans retenue
Und ohne Scham weil
Auch dazu
Die Kraft mir fehlen wird

Die Bilder
Der verlorenen Jahre
Werden mich niederzwingen
Im Angesicht der Zeit
Die sich
So schamlos an uns beiden
Vorbeigemogelt hat

Ich werde es nicht wagen
Dich fest an mich zu drücken
Aus Angst
In einen Traum
Hinein
Zu greifen

 

© jmpg 16-09-16

Poetik-Sprüche…

Poetik-Sprüche…als Vor-Wörter

„Jede neue Zeile ist wie eine Regieanweisung.
Die Verteilung zeigt an, wie gelesen werden soll.
Sie zeigt die Dringlichkeit an, den Gedanken- und den Atemfluß.“
(© jmpg 2014, beim Layout vom „gesang der zikade“)“

Ich mag das Wort Lyrik nicht so richtig, es erinnert mich zu sehr an die Lyra und ihre von mir so geliebten Nachfolge-Instrumente. Und allzu viele Werke, die unter dem Begriff Lyrik verkauft werden, besitzen alles andere als Musik.

Welches Spiel ist das
Alles kryptisch einzuwickeln
Versteckt man
Die eigene Seele oder doch
Die Unzulänglichkeit

Ich finde es unglaublich interessant, mir jetzt den theoretischen Unterbau meiner spontanen Poesie und meiner Lieder (Lyrik!, schau an…) anzulesen. Angeblich bin ich dem „akzentuierenden Versprinzip“ verhaftet…

Natürlich kann man Poet werden indem man erst mal die Regeln lernt und sie dann wie in einem Puzzle anwendet.
Ich bin aber mehr für das Spontane. Es muß richtig klingen. In meinen Ohren. Und gut ausschauen. In meinen Augen. Und verständlich sein. Für meine Leser.

Das Studium soll Techniken lehren, die schon mal angewendet wurden, in der Vergangenheit. Das Handwerkliche halt, das Rüstzeug. Auch wenn man es nicht nutzt.

Wenn den Bildern meiner Erinnerungen eine Sprache innewohnt, derer sie sich bedienen, wenn ich auf sie treffe, dann ist es stets die Sprache des Landes und der Stadt, die diese Bilder beherbergen, und die Sprache der Teilnehmer an diesen Erinnerungen.

Quand reviennent mes souvenirs
C’est dans leur langue
Que je respire

Die Rhythmik, Komma, die Metrik (ja, ja, es ist eine Metrik), in der ich schreibe, ist spontan. Ich denke in dieser Rhythmik.

Ich denke melodiebezogen, ich kann auch aus einem Dreisilber eine Zweierbetonung machen, ohne die Rhythmik zu zerstören.

Die eigenen Gedichte in eine andere Sprache zu übertragen, weil man es kann, ist natürlich optimal. Nur sind es bei mir dann, formal gesehen, stets zwei verschiedene Werke.

Je ne traduis pas vraiment mes poèmes ou mes chansons.
J’essaie de recréer les images et l’atmosphère du texte original, sans pour autant me laisser encarcérer par une traduction litérale.

 

Ich habe jetzt die intersemiotische Translation für mich entdeckt.

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Natürlich kann man das Wörtchen Poesie wörtlich betrachten und benutzen. Wird ja auch oft so gehandhabt, glaub‘ ich. Dann bedeutet es einfach „Erschaffung“.
Oder, modernisiert: „Werk“.
Bleistift, Papier und deren moderneren Alternativen sind dann schlicht die „Werkzeuge“.

Was du bist

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Bist du ein Fluss
Der ohne Scham mir
Seine Quelle zeigt
Tief eingebettet zwischen
Wald und Tal?

Eine Knospe erst
Noch trotzig fest verschlossen
Die nur zur Rose blüht
Wenn man sie sanft berührt?

Bist du ein Stern
Lichtjahreweit
Entfernt
Der jetzt
Zu meiner Sonne wird
Weil ich
Laut klagend
Deinen Namen rief?

 

© jmpg 2016 aus „Sowas wie Liebe“

Wenn du Kastanien sammelst

Ich dacht‘ ich schreib dir mal
Im Voraus denn
Es gibt dich ja noch nicht

Vielleicht hast du
Strohblondes Haar
Wie meine Jüngste einst
Oder die dunklen Augen
Wie Ebenholz so schwarz
Von meiner Ältesten

Du kennst mich nicht vielleicht
Hat niemand dir mein Bild gezeigt
Noch nicht einmal
Von mir erzählt
Von diesem alten Querkopf
Der schon so lange vor dir hier war

Denk mal an mich
Und schau mich an
Ich mag dich sehr
Auch wenn du glaubst
Ich könnt‘ dich gar nicht kennen

Wenn du allein bist
Jedesmal
Wenn du Kastanien sammelst
Und du die Schmetterlinge jagst
Wenn du die Katze streichelst
Und einschläfst irgendwann
Dann bin ich da
An deiner Seite
Und bin
So stolz
Auf dich

© jmpg 2016

Die Regelwächter

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Muss ich der Regelwächter Sprache
Lernen jetzt
Wo ich erfahren hab‘
Dass es sie gibt?

Die Sprache der Regeln
Die die Sprache regeln?

Und etwa auch
Die Regeln selbst?

Poesie ist das Sprach-Bild der Schönheit
Ihr Spiel entsteht spontan
Um dann
Der Bewunderung anheim gefallen
Für alle Ewigkeit
In ein Regelwerk gepresst zu werden
Das man doch nur
Dem Augenblick entrissen hat

Nicht jeder ist ein Hölderlin
Auch wenn so mancher
Das Ende mit ihm teilt.

März 2015
In einem Anfall von Desillusion

Angst

Mit einem beherzten Griff könnt ich mich hochziehen
Auf den Heuschober hinauf
Ich saß gerne dort
Stundenlang
Dem Leben rundum zuzuhören


An dir kann niemand mehr sich aufrichten
Der nicht bereits die nötige Stärke hat
Versteck die Hand nicht
An der ich mich festhalten will
Schau mir beim Hinfallen
Nicht hilflos zu


Ich winde mich
Taub geworden
Unter dem Dröhnen der Heilsglocken
Manchmal bin ich mir selbst
Nicht genug
An diesen Tagen
Der Angst
Der Angst
Der Angst

Horst Wessel revisited

Er hat noch nie
’ne Uniform getragen
Doch er marschiert
Mit ruhig festem Schritt
Er trägt sein Fähnlein
Stolz und ohne Fragen
Als wär er der
Gewerkschaft erste Schicht

Und schreit nur wir
Nur wir sind hier die Echten
Dass wir marschier’n
Ist vornehm uns’re Pflicht
Für Volk und gegen
Die Vaterlandsverräter
Der Presse und
Des osman’schen Geschlechts

Und gegen die
Vom falschen Volk gewählten
Vertreter des
Globalen Kapitals
Gegen all die
Die mehr als ich im Säckel
Auf ihrer hohen
Betteskante ha’m

Ganz gleich warum
Ich bin ja hier geboren
Mein Vater und
Mein Urgroßvater auch
Mir steht es zu
Nur mir und niemand anderm
Sogar dann wenn ich gar nichts dafür tu

Und willst du nicht
Mit mir hier aufmarschieren
Im Geiste und
Im Blut mein Bruder sein
Dann schlage ich dir
Wie einst des Adolfs Horden
Zu Recht den ew’gen
Judenschädel* ein

 

 

* (ad lib: Muslim-, Kommunisten-, Ausländer-)

© jmpg 28-03-17

Der Gesang der Zikade

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Der Gesang der Zikade

Als die Zikade
Nach einem langen Sommer
Den Weg zum Brunnen nicht mehr fand
Wartete sie
Auf den Regen
Der so fürstlich daher kam
Dass die Ameise
Die üble Besserwisserin
In ihrem Bau
Ertrank

Auszug aus: Jean M. P. Gilbertz. „der gesang der zikade.“ Edition Octopus. iBooks.
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le chant de la cigale

Quand la cigale
Après un long été
Ne trouva point le chemin
Vers la fontaine
Elle attendit
La pluie
Qui elle
S’amena si royalement
Que la fourmi
Cette fanfaronne
Fut noyée
Dans son garde-manger

Auszug aus: Jean M. P. Gilbertz. „der gesang der zikade.“ Edition Octopus. iBooks.
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Der Mescalero

Nachdem die Sonne
Für gestohlen erklärt worden war
War der Täter schnell ermittelt
Rastergefahndet wurde er
Erschlagen rasch
Noch ehe er gestehen konnte
Leider
Wurde die Beute
Nie gefunden seither
Ist aber
Ein Finderlohn ausgelobt und
Der Mescalero sitzt
In Schutzhaft
Bis er so schwarz ist wie der Tag
Und alles das nur weil er
Klammheimlich etwas sah
Als es noch
Leuchtend
Hell war

© jmpg 2015 Auszug aus „Im Schlepptau der Nacht“, Politische Gedichte